Fünf Ausreden von Brands mit schlechter Customer Experience

Customer Centricity
Ein Mann inmitten von Tabs auf schwarz

Inhaltsverzeichnis

7 Minuten
Mittwoch, 16.08.2023

Trotz zahlreicher Artikel und Berichte, die den betrieblichen Erfolg und den Return on Investment (ROI) von Investitionen in Customer Experience (CX) aufzeigen, stehen Unternehmen nach wie vor vor Herausforderungen, wenn es darum geht, CX-Investitionen zu legitimieren. Das liegt daran, dass der tatsächliche ROI von Customer Experience gar nicht so einfach zu ermitteln ist.

Es ist erwiesen, dass sich Investitionen in die Customer Experience im Laufe der Zeit auszahlen, auch wenn Ermittlung und Messung von Metriken manchmal schwierig ist und es länger dauern kann, bis sie sich finanziell rechnen. Auf der anderen Seite kann das Ignorieren von Kundenbedürfnissen sich schnell negativ Auswirken. Laut InVision reicht für 88 % der Online-Kund:innen eine einzige negative Erfahrung aus, um nicht mehr auf eine Website zurückkehren.

Investitionen in die Customer Experience sind längst kein Nice-to-have mehr, sondern ein entscheidender Hebel für den Erfolg oder Misserfolg eines Produkts, einer Dienstleistung oder eines ganzen Unternehmens.

In diesem Artikel stellen wir fünf Indikatoren vor, die darauf hindeuten, dass ein Unternehmen zu spät in CX investiert hat. Wir hoffen, dass wir durch die Analyse und Erläuterung dieser Warnzeichen Designer:innen, Manager:innen und Führungskräften helfen können, in Zukunft größere Fehlschläge zu vermeiden, und ihnen die nötige Inspiration geben, um sich erfolgreich auszurichten.

In diesem Artikel prüfen wir fünf Ausreden von Unternehmen, die nicht ausreichend in Customer Experience investiert haben:

  1. "Wir haben plötzlich eine hohe Kundenfluktuation, obwohl wir nichts verändert haben.”
  2. “Wir verlassen uns nur auf soziodemographische Aspekte.”
  3. “Es liegt an den neuen Wettbewerbenden, die aufgetaucht sind.”
  4. “Wir investieren lieber in Marketing und Branding als in die Customer Experience.”
  5. “Wir stecken eine hohen Anteil unserer Ressourcen in nicht-digitale Lösungen.”
"Kundenverlust trotz fehlender Änderungen": Ene Grafik, die den Abwärtstrend der Kundenzahlen im Laufe der Zeit veranschaulicht.

1. “Wir haben plötzlich eine hohe Kundenfluktuation, obwohl wir nichts verändert haben.”

Wenn Kund:innen eine Plattform in großer Anzahl verlassen, ist das ein klares Indiz für einen Investitionsmangel in Customer Experience. Kundenanforderungen ändern sich ständig und schnell. Sie werden nicht nur durch die vielen verfügbaren Möglichkeiten beeinflusst, sondern auch durch Marken, die in punkto Kundenerfahrung Champions League spielen.

Netflix ist berühmt für Personalisierung, HubSpot führend im Bereich Best-in-Class-Content-Marketing und Singapore Airlines wird regelmäßig als beste Fluggesellschaft der Welt bewertet, weil sie einen Kundenservice bietet, der weit über das hinausgeht, was erwartet wird. All diese großen globalen Marken setzen den Maßstab für außergewöhnliche Kundenerfahrungen. Branchenunabhängig - egal ob Banking, Travel oder E-Commerce - liegt Kund:innen heute die Welt zu Füßen und sie können die besten Mobil- und Webservices kostenlos, jederzeit und überall nutzen.

Unternehmen, die den Fehler machen, anzunehmen, dass ihre Konkurrenz im digitalen Bereich nur aus der eigenen Branche kommt, übersehen ein entscheidendes Element, nämlich die Tatsache, dass ein:e Kund:in einen digitalen Service mit einem einzigen Tastendruck mit einem anderen vergleichen kann.

Funktioniert nicht alles reibungslos und schnell genug, führt das zu Unzufriedenheit. Es wird sich unmittelbar nach einer anderen Lösung umgesehen. Tatsächlich verlassen 53 % der mobilen Nutzer:innen Websites nach 3 Sekunden Ladezeit, und 90 % brechen die Nutzung einer App bei schlechter Leistung ab. Das heißt, wenn Kund:innen eine Plattform verlassen, gibt es dafür einen eindeutigen Grund: Schlechte Customer Experience.

2. “Wir verlassen uns nur auf soziodemographische Aspekte.”

In die Persona-Falle zu tappen und zu glauben, dass Kund:innen alle eine Person mit einer bestimmten Altersspanne, einem bestimmten Geschlecht, Wohnort und Beruf sind, geht schneller als gedacht. Das ist allerdings ein großes Warnsignal, denn erstellte Personas können aufgrund ihrer Spezifität aus vielen Gründen ein Fehler sein:

Anstatt davon auszugehen, dass eine bestimmte Art von Person ein bestimmtes Bedürfnis hat, sollten Unternehmen, die ein erstklassiges Kundenerlebnis bieten wollen, sich lieber auf die Probleme, Bedürfnisse, Wünsche, Anforderungen und das aktuelle Kundenverhalten ihrer Zielkunden konzentrieren.

Nicht alle Männer um die 40 aus Hamburg verhalten sich gleich, genauso wie alle Teenager unterschiedliche Anforderungen an Social Media haben oder junge Frauen unterschiedliche Anforderungen an ihre Banking-App stellen.

Organisationen, die einen hohen Customer Lifetime Value anstreben und ihren Kundenstamm ausbauen wollen, sollten alles versuchen, um die Verhaltensweisen, Problemlösungsansätze, Produktpräferenzen und Entscheidungskriterien ihrer Kund:innen zu verstehen.

Zu wissen, wer die Kund:innen sind, ist wesentlich weniger wichtig als zu wissen, was sie brauchen oder wollen und wie diese Bedürfnisse und Wünsche erfüllt werden können. Ein guter Rahmen, um die Perspektive von Personas hin zu Bedürfnissen und Wünschen zu verlagern, ist die "Jobs-To-Be-Done"-Methode.

Jobs-to-Be-Done bietet einen Rahmen zum Festlegen, Einstufen, Erfassen und Strukturieren sämtlicher Kundenbedürfnisse.

Darüber hinaus kann mit diesem Framework ein kompletter Katalog von Bedürfnisaussagen innerhalb von wenigen Tagen - statt mehreren Monaten - erfasst werden, und die Antworten selbst sind über Jahre hinweg gültig.

Ein Mann inmitten von verschiedener Kreise mit Symbole wie Münzen (Geld,) einer Uhr (Zeit), einer Nadel (Ort) und einem Herz (Loyalität). Die Kreise stehen für die verschiedenen digitalen Anlaufstellen innerhalb der Customer Journey und die Symbole die Möglichkeiten und Gefühle, die bei der Nutzung entstehen.

3.“Es liegt an den neuen Wettbewerbenden, die aufgetaucht sind.”

Wenn ein neuer Wettbewerbender in den Ring steigt, besteht die Gefahr, dass dadurch die Schwachstellen in der CX-Strategie etablierter Unternehmen sichtbar werden. Neue Akteure bringen frische Ideen, innovative Ansätze und verbesserte kundenorientierte Lösungen mit, die die Erwartungen und Vorlieben auf ein neues Level heben können.

Anders gesagt: Ein disruptiver Wettbewerbender kann Kund:innen die Augen dafür öffnen, was möglich ist. Wenn Unternehmen darauf nicht eingestellt sind, kommt diese Situation samt Folgen unerwartet.

Der Glanz eines neuen Wettbewerbendens stellt den Status quo in Frage und legt die Messlatte für Kundenerwartungen höher. Mit innovativen Lösungen, nahtlosen Erlebnisse oder disruptiven Geschäftsmodellen wird ein neuer Standard gesetzt, der etablierten Playern ihre Grenzen aufzeigt. Der Schlüssel zum Erfolg liegt im tiefen Zielgruppenverständnis. Die Kenntnis über Probleme und unerfüllte Bedürfnissen führt in der Regel zu einem Marktvorteil.

Um personalisierte Erlebnisse zu ermöglichen und Kundeninteraktionen zu optimieren, nutzen neue Marktbegleitende aufkommende Technologien, Datenanalysen und die Automatisierung. Wie wir bei vielen erstklassigen digitalen Produkten sehen, sind Personalisierung und Prognosen ein enormer Mehrwert in der Nutzung und daher sehr beliebte Features. Plattformen wie Spotify und TikTok sind aufgrund ihrer Fähigkeit, die Vorlieben ihrer Nutzer:innen zu ermitteln, zu Marktführer:innen geworden. Auf diese Weise entsteht Loyalität und somit langfristige Bindung zwischen der Marke und Kundschaft.

Durch neue Angebote, die Befriedigung unerfüllter Bedürfnisse, die Nutzung fortschrittlicher Technologien und die Demonstration von Agilität tun sich Lücken auf, die etablierte Unternehmen schließen müssen, um einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen und ihr Kundenerlebnis zu verbessern. Gelingt das nicht, kann das zu schwindender Kundentreue und sinkenden Marktanteilen führen.

4. “Wir investieren lieber in Marketing und Branding als in die Customer Experience.”

Der Mehrwert von Marketingkampagnen ist klar. Ein Unternehmen investiert Geld und erwartet dafür eine Kampagne, die sichtbare, messbare Ergebnisse bringt. Dasselbe gilt für eine Investition in ein Rebranding: An einem Tag hat man einen bestimmten Look-and-Feel, am anderen ist etwas Glänzendes und Neues zu sehen. Viele Organisationen erkennen eine sichtbare Rendite in ihre Marketing- und Branding-Bemühungen, auch wenn es sich dabei oft eher um eine emotionale Komponente handelt. Wenn man eine Kampagne oder ein neues Logo sieht, hat man das Gefühl, etwas erreicht zu haben.

Ob sich dieses Ergebnis positiv auf den Umsatz und die Rentabilität auswirkt, ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich, und obwohl niemand die Bedeutung von Branding und Marketing bestreitet, wird bei oft die Tatsache übersehen, dass das Kundenerlebnis selbst einen entscheidenden Aspekt im Branding- und Marketingprozess darstellt.

Tatsächlich entwickelt sich Marketing zu einer weiteren Komponente des Kundenerlebnisses. Unternehmen wie Amazon legen die Standards für Customer Experience immer höher, indem sie datenbasierte Erkenntnisse nutzen.

Ohne ein erstklassiges Nutzungserlebnis für ein Produkt oder eine Dienstleistung geht das Vertrauen verloren, der Markenwert sinkt und die Kundenfluktuation nimmt zu.

Der "Look and Feel", den wir beim Kontakt mit einem Produkt erleben, erstreckt sich nicht nur auf die Werbung oder die Verpackung, sondern auf jeden Moment im digitalen Lebenszyklus. Wie sich Kund:innen fühlen, wenn sie mit einer Marke in Berührung kommen, muss die höchste Priorität haben. Alles, was wir tun, um Kund:innen zu gewinnen, muss in einem nahtlosen, angenehmen und ansprechenden digitalen Erlebnis stattfinden.

Ganz gleich, ob jemand einen Kauf tätigt, Geld überweist, einen Termin bucht oder das Wetter abfragt - das Erlebnis muss dabei helfen, die individuellen Ziele schnell, einfach und auf angenehme Weise zu erreichen. Es gibt folglich viele Gründe, warum CX als Investition und nicht als Kostenpunkt betrachtet werden muss.

5. "Wir stecken eine hohen Anteil unserer Ressourcen in nicht-digitale Lösungen.”

Wenn Kund:innen digitale Lösung nicht nutzen, liegt das daran, dass sie nicht gut sind, und nicht daran, dass sie nicht gerne mit Computern arbeiten. Es ist sogar erwiesen, dass die meisten Verbrauchenden lieber eine digitale Lösung nutzen als eine analoge (z. B. ein Telefon) oder eine physische (z. B. einen Besuch in einem Geschäft).

Die Zukunft ist digital. Estland hat bei seinen Digitalisierungsmaßnahmen große Erfolge erzielt und liegt bei der digitalen Entwicklung um 39 % höher als andere mittel- und osteuropäischen Länder. Die Regierung und der öffentliche Sektor in Deutschland zählen zu den Schlusslichtern, wenn es um Customer Experience geht, was angesichts der hohen Steuersätze ein wenig ironisch ist.

Für ausländische Bürger:innen in Deutschland gibt es dafür ein Paradebeispiel: Die Beantragung eines Visums.

Um einen Termin für eine Visumsverlängerung bei der Ausländerbehörde zu buchen, muss man sich durch mehrere Fenster klicken, unzumutbare Ladezeiten in Kauf nehmen und viele Häkchen setzen, bevor entweder die Website eine Zeitüberschreitung meldet oder der Terminkalender zeigt, dass in den nächsten sechs Monaten (oder länger) keine Termine mehr frei sind. Die Nutzenden dieser Plattform müssen sich unter Umständen monatelang täglich einloggen, bevor sie einen Termin buchen können - eine Zeitspanne, die in Bezug auf die Visabestimmungen oft zu lang ist.

Da die Website bekanntermaßen ziemlich bescheiden ist, haben die Nutzenden selbst eine alternative Lösung gefunden: Nämlich ein Fax zu schicken. Die Behörde ist gesetzlich verpflichtet, auf alle Faxnachrichten zu antworten. Das heißt, anstatt Buchungen einfach über die offizielle Website anzunehmen, werden interne Ressourcen in die Bearbeitung von Fax-Anfragen gesteckt.

Dies mag wie ein einfacher Trick erscheinen, das aktuelle System zu umgehen. Aber es zeigt vor Allem, wie viel Zeit und Mühe verschwendet werden kann, wenn man es nicht schafft, eine gute Customer Experience zu ermöglichen. Letztlich ist die Terminbuchungsseite der Ausländerbehörde ein Ort, an dem man unkompliziert eine Buchung vornehmen können sollte. Die Überarbeitung der Website sollte nicht mehr kosten als die unzähligen Stunden, die die Angestellten aktuell mit der Beantwortung von Faxanfragen verbringen.

Wenn Unternehmen feststellen, dass ihre digitalen Produkte und Dienstleistungen bei den Kund:innen nicht ankommen, ist die erste Anlaufstelle garantiert eine Investition in das Kundenerlebnis. Wenn Organisationen verstehen, wie ihre Nutzer:innen die verschiedenen Produkt- und Serviceangebote nutzen, können sie sich schnell ein Bild ihrer Zielgruppe machen, und erhalten Anhaltspunkte dafür, wie sie wichtige Schwachstellen beheben können.

Vernachlässigung digitaler Lösungen" veralteten analoge Lösungen und moderne digitale Alternativen gegenübergestellt

Schlechte Kundenerlebnisse sollten nicht ignoriert werden

In die Customer Experience zu investieren, zahlt sich mit der Zeit aus. In Fachkreisen gibt es ein Sprichwort, das besagt, dass eine großartige Erfahrung mit einem Produkt von heute die Grundlage für jede Produkterfahrung von morgen sein wird.

Ja, die Metriken sind schwieriger zu ermitteln und zu messen und es dauert länger, bis sie sich auszahlen. Aber wenn wenn du die Gelegenheit verpasst, deinen Kund:innen einen Mehrwert zu bieten, werden die Auswirkungen schnell spürbar. Unternehmen verlieren nicht nur ihre Kundschaft, wenn sie es versäumen, in CX zu investieren, sondern sind auch anfälliger für Marktstörungen, vergeudete Ressourcen und verpasste Erfolgschancen.

Was sind die ersten Schritte, wenn es darum geht, CX-Hürden anzugehen? Die entscheidenden Kundenprobleme zu identifizieren, indem man einfach mit ihnen spricht. Auch wenn es manchmal weh tut, verfügen nur sie über notwendige Informationen und Einblicke und können daher schnell und genau zeigen, warum in welchen Bereichen Abgänge und Fluktuation zu verzeichnen sind. Zu den KPIs, die bei der Bewertung des ROI von CX betrachtet werden sollten, gehören der NPS (Net Promoter Score), der CES (Customer Effort Score), wiederkehrende Besuche und Abbruchraten.

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Verfasst von: Anina Schulz

Anina bereichert das DAYONE Team seit 2020. Ursprünglich als UX-Designerin für Kunden wie Volkswagen tätig, hat sie im Laufe der Zeit ihre Begeisterung für eine strategischere Perspektive entdeckt. Mittlerweile ist sie daher im Bereich Strategic Design tätig und unterstützt Projekte mit ihrem holistischen Blick auf sowohl nutzerzentrierte Bedarfe, den organisationalen Kontext, sowie die unternehmerischen Ziele. Als selbsternannte Design Innovation Advokatin ist ihr Wissenstransfer besonders wichtig. Dies spiegelt sich nicht nur in der Zusammenarbeit mit unseren Kunden wieder, wo sie ihr tiefgreifendes Verständnis mit den jeweiligen Methoden und Praktiken teilt - sondern ebenfalls hier im Blog mit euch.

Anina
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