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Mittwoch, 06.09.2023
Warum können manche Unternehmen eine treue Kundenbasis etablieren, während andere kontinuierlich neue Kund:innen akquirieren müssen? Die Antwort auf diese entscheidende Frage liegt oft in einem fundamentalen Geschäftselement - dem Kundenerlebenis.
Kundenanforderungen und -erwartungen befinden sich im ständigen Wandel, um ihnen stand zu halten ist es von entscheidender Bedeutung, nicht nur neue Kund:innen zu gewinnen, sondern auch bestehende zu binden. Das ist aber oft leichter gesagt als getan. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, nicht nur großartige Produkte und Dienstleistungen anzubieten, sondern auch in der Verantwortung, dass ihre Kund:innen eine positive und anhaltende Erfahrung damit machen.
Kundenloyalität hängt längst nicht mehr nur von der Qualität eines Produkts ab. Vielmehr dreht sich alles um das Gesamterlebnis, das mit einer Marke oder einem Unternehmen verbunden wird. Kund:innen erwarten nahtlose Interaktionen, personalisierten Service und eine bequeme Nutzung von Produkten und Dienstleistungen.
Wie können Unternehmen sicherstellen, dass sie das bestmögliche Kundenerlebnis bieten? Wie werden neue Kund:innen zu loyalen Nutzer:innen? Es liegt an der Art und Weise, wie der Experience Loop verstanden und genutzt wird, um das Kundenerlebnis zu gestalten.
In diesem Artikel:
- Der traditionelle Kunden-Funnel oder auch die Zeit “vor dem Experience Loop”
- Der Experience Loop als holistische Sicht auf das Kundenerlebnis
- Die einzelnen Phasen des Experience Loops
- Den Experience Loop richtig anwenden
Der traditionelle Funnel oder auch die Zeit "vor dem Experience Loop”
Um zu verstehen warum wir den Experience Loop nutzen und warum dieser einen Shift im Mindset von Marketing- und Produktverantwortlichen bedeutet, müssen wir zunächst ein paar Jahre zurückblicken: Auf den Anfang der 2000er Jahre und wie damals Kundenerlebnisse mit einem Unternehmen verstanden und konzipiert wurden.
Der traditionelle Kunden-Funnel richtet sich an Personen aus, die noch nicht wissen, dass sie ein Bedürfnis bzw. einen “Pain” (auf Deutscht: Schmerz; also ein spezifisches Problem eines:r Kund:in) haben und daher auch noch nicht das jeweilige Produkt bzw. Unternehmen kennen, das das Bedürfnis oder den Pain stillt. Für diese Personen planen Marketingverantwortliche entlang des traditionellen Funnels benötigte Interaktionen und daraus resultierende Maßnahmen, um die Personen auf das Produkt aufmerksam zu machen und davon ausgehend zu Neukund:innnen zu konvertieren.
Dieser traditionelle Funnel hat einen entscheidenen Nachtteil: Er begreift das Kundenerlebnis nicht holistisch, sondern stoppt an dem Punkt an dem sich Kund:innen entscheiden ein Produkt zu erwerben bzw. zu nutzen.
Heute wissen wir, dass das Kundenerlebnis selbstverständlich nicht dort aufhört. Es ist wichtig die Kundenzufriedenheit auch nach Start der Nutzung hoch zu halten, damit die Kund:innen dem Unternehmen langfristig die Treue halten.
Das erkannte im Jahr 2009 auch McKinsey und “erfand” daher anstelle des linearen Funnels einen in sich geschlossenen Experience Loop.
Der Experience Loop als holistische Sicht auf das Kundenerlebnis
Wie sieht der Experience Loop aus?
Um das Kundenerlebnis holistisch zu begreifen, stoppt der Experience Loop nicht im Moment des Kaufes, sondern beleuchtet auch die Journey danach:
In der Trigger-Phase machen wir Kund:innen auf ein Bedürfnis und unser Produkt aufmerksam. In der Inform Phase setzen sie sich anschließend tiefer mit diesem auseinander, bevor es in der Decide-Phase zur finalen Entscheidung und zur Transaktion (z.B. Kauf, App Download) kommt. Während der traditionelle Funnel hier stoppt, schließt der Loop mit der Experience-Phase an, welche das Benutzen des Produktes widerspiegelt. In der Re-Trigger-Phase werden die Kund:innen auf weitere Bedürfnisse und damit verbundene Services oder Produkte aufmerksam gemacht. Der Experience Loop startet von vorne.
Somit rücken neben den Neukund:innen auch die Bestandskund:innen in den Fokus von CX- (Customer Experience, auf Deutsch Kundenerlebnis) Maßnahmen und Aktivitäten. Das ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht sinnvoll, da Studien zeigen, dass die Cost per Aquisition - also Kosten, die anfallen um Kund:innen zu einer spezifischen Aktion, wie z.B. einem Kauf, zu bewegen - bei Bestandskund:innen deutlich geringer ausfallen als bei Neukund:innen.
Ebenfalls wird der Customer Lifetime Value, also der Umsatz, den ein Unternehmen mit einem einzelnen Kunden generieren kann, durch den Fokus auf die Bestandskund:innen erhöht.
Ausgehend von dieser holistischen Sicht auf das Kundenerlebnis und dem damit einhergehenden Mindset können Marketing- und Produktverantwortliche ihre CX-Aktivitäten umfassend planen, managen und optimieren.
Der Experience Loop bildet hierfür die strategische Grundlage, indem er das Kundenerlebnis veranschaulicht und ein gemeinsames Verständnis zwischen den Beteiligten schafft.
Der größte Mehrwert in der Erstellung eines Experience Loops liegt darin, ein gemeinsames Verständnis für das aktuelle oder angestrebte Kundenerlebnis zu schaffen. Dafür ist der Experience Loop aufgrund seiner Übersichtlichkeit und der damit verbundenen Möglichkeit ihn schnell zu erfassen sehr gut geeignet.
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Was beinhalten die einzelnen Phasen im Detail?
Die Phasen stellen sich folgende Fragen:
1) Trigger
Wie werden Kund:innen auf ein Bedürfnis aufmerksam? Wie auf das Produkt, welches das Bedürfnis erfüllt?
→ Hier werden typischerweise Marketing Aktivitäten eingeordnet
2) Inform
Wie informieren sich Kund:innen über das Produkt? Wie werden sie inspiriert sich intensiver mit dem Produkt auseinanderzusetzen? Wie wird evaluiert, ob das Produkt für das Bedürfnis passen könnte?
→ Die Inform-Phase findet zunehmend rein digital statt. Trotzdem sollten auch physische Touchpoints nicht vergessen werden.
3) Decide
Wie entscheiden sich Kund:innen für ein Produkt? Welche Schritte müssen sie ggf. durchlaufen? Wie werden sie während dieses Entscheidungsprozesses begleitet?
4) Experience
Was machen Kund:innen mit dem erworbenen Produkt? Welche anhaltenden Interaktionspunkte mit dem Unternehmen gibt es? Wie bauen Kund:innen eine Loyalität zu einem Produkt und einem Unternehmen auf?
→ Hier sollte außerdem mitgedacht werden, was die Produkt-Experience außerhalb der eigentlichen Nutzung beeinflusst.
5) Re-Trigger
Wie werden Kund:innen auf weitere Angebote des Unternehmens aufmerksam? Welche weiteren Bedürfnisse kann das Unternehmen erfüllen?
→ Hier werden typischerweise wieder Marketing-Aktivitäten eingeordnet. Im Gegensatz zur ursprünglichen Trigger-Phase finden sie aber meistens auf anderen Kanälen statt. Das ist dadurch bedingt, dass wir nun Bestandskund:innen ansprechen.
Wann kommt der Experience Loop zum Einsatz?
Da der Experience Loop in seiner Grundform erst einmal nur ein Modell ist, kann er für verschiedene Szenarien eingesetzt werden.
Analyse: Den Ist-Zustand aufnehmen
Zu Beginn eines Projektes ist es wichtig zu verstehen, wie Kund:innen aktuell mit einem Unternehmen interagieren. Der Experience Loop gibt die Möglichkeit im Ist-Zustand Wissenslücken zu identifizieren, generelle Lücken in dem Kundenerlebnis auszumachen (ergo wo ergreift das Unternehmen heute noch keine Maßnahmen), sowie Potenziale zur Verbesserung der CX zu diskutieren. Vorstellungen und Ideen von Stakeholder:innen können entlang des Loops aufgenommen werden.
Experience-Strategie: Den Soll-Zustand definieren
Teil einer Experience-Strategie ist es Handlungsfelder und konkrete Maßnahmen zu identifizieren mit dem Ziel ein möglichst optimales Kundenerlebnis zu bieten und so auch bestehende Business Goals zu erreichen. Der Experience Loop kann hier genutzt werden, um den Soll-Zustand des Kundenerlebnisses zu beschreiben. Dafür werden identifizierte Maßnahmen entlang des Loops verortet und es entsteht ein Ausblick darauf was erreicht werden soll.
Skalierung: Die nächsten Features und Schritte identifizieren
Vorausgesetzt es liegt eine Strategie vor, kann der Experience Loop innerhalb eines Teams dafür genutzt werden eine Feature-Roadmap und damit einhergehende nächste Schritte abzuleiten. Dafür werden Aufgaben, die ein Kanal oder Touchpoint heute im Kundenerlebnis einnimmt (ergo die Value Proposition) und welche in Zukunft eingenommen werden sollten, erörtert. Daraus können Features ermittelt und zu einer Roadmap priorisiert werden. Außerdem kann der Experience Loop kann hier als Grundlage genutzt werden, um anschließende Research-Maßnahmen zu diskutieren - worüber gibt es bereits Daten, wo fehlen sie?
Kann man den Experience Loop erweitern?
Die einzelnen Phasen des Experience Loops können weiter detailliert werden. Dies kann beispielsweise so aussehen:
Durch weitere Klassifizierungen können Kundenherausforderungen und mögliche Potenziale genauer identifiziert werden, denn die einzelnen Überphasen können teilweise mehrere Dimensionen besitzen, die zum Erfolg dieser beitragen. So können dedizierte Strategien und darauf aufbauende Maßnahmen entwickelt werden, um Kund:innen bestmöglich zu begleiten. Die oben abgebildeten Unterphasen stellen dabei keine Allgemeingültigkeit dar, sondern dienen als Startpunkt und können den Anforderungen entsprechend angepasst werden.
Zusätzlich können weitere Informationen im Experience Loop abgebildet werden, wie z.B.:
- Touchpoints und Kanäle: Wo finden die Interaktionen statt? Gibt es für einzelne Phasen Touchpoints oder Kanäle, die im “Lead” sind, da sie sich besser für bestimmte Interaktionen eignen?
- Verantwortliche Teams: Insofern die Unternehmen mehrere Teams zur Bearbeitung des Kundenerlebnisses haben / aufbauen möchten, könntet verortet werden, welchen Phasen oder Interaktionen von welchem Team verantwortet werden.
- KPIs: Welche Business relevanten Metriken nutzen Unternehmen zum Messen des Erfolges, sowie des Kundenerlebnisses? Diese können an den zum Erreichen relevanten Stellen verortet werden, um die Business Sicht zu ergänzen.
Gibt es Voraussetzungen für die Anwendung des Experience Loops?
Vor der Anwendung des Experience Loops muss klar sein, für welche Zielgruppe bzw. Kundensegment dieser bearbeitet wird; denn er kann für verschiedene Kundensegmente unterschiedlich aussehen. Darüber hinaus muss auch geklärt werden, ob der Ist- oder ein Soll-Zustand abgebildet werden soll.
Zu guter letzt: Wo liegen die Herausforderungen bei der Anwendung des Experience Loops?
Unternehmen, die den Experience Loop einsetzen, stoßen vor allem auf die folgenden beiden Herausforderungen:
1. Die richtige Flughöhe finden
Der Experience Loop hat zum Ziel ein holistischen Überblick über das Kundenerlebnis zu geben. Damit geht einher, dass er keine “epische” Detailtiefe bieten kann, wie dies z.B. durch einzelne Customer Journeys möglich ist. Es ist daher wichtig die richtige Flughöhe zu finden, um nicht in Detaildiskussionen zu versinken.
2. Den Experience Loop in die Teams tragen
Der Loop wird oftmals von Gesamtproduktverantwortlichen / Produktmanagern für die strategische Planung von Maßnahmen angewandt.
Da der Experience Loop aber erst einmal “nur” ein Modell ist, ist es wichtig die damit einhergehenden Ideen und Hypothesen in die Teams zu tragen, sodass diese von allen Team-Mitgliedern nachvollzogen und getragen werden. Die Operationalisierung ist also mindestens genauso wichtig.
Der Experience Loop eröffnet eine umfassende Perspektive auf die Gestaltung von Kundenerlebnissen. Er veranschaulicht das Kundenerlebnis in fünf Phasen, von der Weckung des Interesses bis zur Erneuerung. Diese Betrachtung lenkt die Aufmerksamkeit nicht nur auf die Gewinnung von Neukund:innen, sondern auch auf die Bindung von Bestandskund:innen. Betriebswirtschaftlich ergibt das Sinn, da die Kosten zur Bindung von Bestandskund:innen niedriger sind als die Kosten zur Kundengewinnung. Gleichzeitig steigt der langfristige Umsatz. Marketing- und Produktverantwortliche können basierend auf diesem Ansatz umfassend planen und optimieren. Der Experience Loop schafft ein gemeinsames Verständnis und bildet die strategische Grundlage für erfolgreiche Kundenerfahrungen.